23.01.2024 – Zusammenfassung
In den 25 Jahren seit der Gründung des Euro hat sich die wirtschaftliche Kluft zwischen den USA und der Eurozone fast verdreifacht. Im Jahr 1999, dem Jahr der Euro-Einführung, war die US-Wirtschaft gemessen an der Kaufkraftparität 11 % größer als die der Eurozone; dieser Abstand hat sich seitdem auf 30 % vergrößert. Selbst in Bezug auf die Pro-Kopf-Werte lassen die USA Europa weit hinter sich: Im Jahr 2022 verfügte der Durchschnittsamerikaner über ein Realeinkommen, das in Kaufkraftparitäten 35 % höher war als das des Durchschnittseuropäers - kurz vor der Finanzkrise 2008 waren es noch 27%.
Zugegeben, einige der treibenden Kräfte für die Dominanz der USA sind ihre strukturellen Privilegien: niedrigere Finanzierungskosten für den Staat (im Verhältnis zum Wachstum), niedrigere Energiekosten, ein erheblicher Vorsprung in der Technologiebranche und eine bessere Demografie. Dank eines großen und liquiden Marktes für Staatsanleihen kann sich die US-Regierung aus Abschwüngen herauskaufen und negative Auswirkungen vermeiden, während die Länder der Eurozone angesichts der Risiken von Staatsbankrotten und Währungsumstellungen einen viel geringeren finanzpolitischen Spielraum haben. Außerdem sind die Strompreise in den USA aufgrund der reichlich vorhandenen Erdgasvorkommen deutlich niedriger, was angesichts der derzeitigen energie- und geopolitischen Unsicherheit besonders hilfreich ist.
Und obwohl die USA bei bestimmten wichtigen Rohstoffen von ausländischen Anbietern abhängig sind, verfügen sie über ein reichhaltiges Angebot an Kohle, Kupfer, Blei, Eisen, Holz, Bauxit und Uran, die alle für die grüne Energiewende unerlässlich sind.
Die USA profitieren auch davon, dass sie die weltweit führenden Technologieunternehmen beherbergen, die einen besseren Zugang zu Frühphasenfinanzierung und internationalen Talenten haben, und dass sie den meisten europäischen Ländern in Sachen Forschung und Entwicklung sowie Patentanmeldungen voraus sind, was ihnen einen größeren Wettbewerbsvorteil verschafft.
Aber Europa stolpert meist über seine eigenen Schnürsenkel: Überregulierung und Bürokratie bremsen das Produktivitätswachstum, während fragmentierte Kapitalmärkte eine effiziente Finanzierung verhindern. Vorschriften, die von der Krümmung von Gurken bis zum Mindestdurchmesser von Venusmuscheln reichen, behindern Innovationen und erschweren die Geschäftstätigkeit in der Eurozone gegenüber den USA. In der Doing-Business-Rangliste der Weltbank schneiden die EU-Volkswirtschaften nur bei zwei Indikatoren besser ab als die USA - bei der Stromversorgung und beim grenzüberschreitenden Handel - und das auch nur mit einer geringen Marge.
Es ist besonders schwierig, in der EU Kredite zu erhalten, was vor allem Start-ups behindert, und die Unternehmen müssen sich mit den unterschiedlichen Gesetzen und Steuervorschriften der einzelnen Länder auseinandersetzen. Gleichzeitig sind die EU-Programme zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung zu kompliziert und zersplittert, was zu Rückständen führt (z. B. bei den NGEU-Mitteln), und sie geben dem Privatsektor keinen Anstoß, die Investitionsausgaben zu erhöhen, wie es in den USA der Fall ist. Schließlich haben Politik und nationale Interessen Fortschritte bei der Schaffung einer Kapitalmarktunion (CMU) blockiert, die die grenzüberschreitende Risikoteilung fördern, die Abhängigkeit von Bankfinanzierungen verringern und die Kapitalallokation verbessern würde, was wiederum zu einem höheren Wirtschaftswachstum führen würde.
Es gibt einen (grünen) Silberstreif am Horizont: Die EU übernimmt eine Vorreiterrolle bei der grünen Transformation. Die Volkswirtschaften der Eurozone haben deutlich niedrigere Gesamt- und Pro-Kopf-CO2-Emissionen als die USA. Auch beim Handel mit umweltfreundlichen Gütern hat die EU eindeutig die Führung übernommen: Allein Deutschland übertrifft die USA bei den grünen Exporten, und 19 der 27 EU-Volkswirtschaften weisen einen komparativen Vorteil beim Handel mit grünen Gütern auf. Im Gegensatz dazu verlieren die USA langsam Marktanteile und ihr komparativer Vorteil bei grünen Technologien hat sich im Laufe der Zeit verschlechtert. Da die EU ihre grüne Transformation beschleunigen und bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen will, wird die grüne Wirtschaft mehr Arbeitsplätze schaffen, um die potenzielle Deindustrialisierung in rückläufigen Sektoren zu kompensieren.
Um den allgemeinen Wettbewerbsvorteil gegenüber den USA wiederherzustellen, muss das nächste Europäische Parlament dringend die Hindernisse für ein höheres Produktivitätswachstum beseitigen. Nach den Wahlen zum EU-Parlament im Juni sollten die obersten Prioritäten sein:: I) Abbau von Bürokratie und Überregulierung, ii) Wiederaufnahme der Bemühungen um eine Vertiefung der Kapitalmarktunion, iii) Überwindung von Problemen, die einer zügigen und rechtzeitigen Inanspruchnahme von EU-Mitteln im Wege stehen, und iv) Vorantreiben einer verstärkten europäischen Industriepolitik, um den Subventionswettlauf zwischen den EU-Ländern zu entschärfen.
Die gesamte Studie in englisch ist ab sofort als Download abrufbar.